Dreierlei Weggefährt*innen
Schön, ward ihr alle da, habt ihr euch rufen lassen aus so verschiedenen Zeiten, Orten und Lebenswelten. Es war mir Ehre und Freude und ich hoffe, dass diese Stunden für uns alle - auch für die unsichtbar Anwesenden - glückliche Begegnungen und Fügungen bereithielten und dass meine Dankbarkeit gegenüber dem Lebendigen auch in dieser Form Ausdruck finden konnte.
In diesem grossen Kreis von Menschen aus Österreich, Deutschland, Schweiz, Portugal, Brasilien und Tschechien zu stehen, die seit langem oder auch kürzerem meine Lebenswege mitweben, war ein grosses Geschenk von euch "Kin". Als Verwandte, Vertraute ward ihr da - eine Art von Gemeinschaft, die sich rufen lässt, die auf Rufe untereinander zu antworten versteht, wie ein Rudel freier, wilder Tiere, die sich zusammenfinden, wenn es Zeit ist.
Für jemanden, dessen blutsgeschichtliche Prägung von Kriegsflucht und eigenwilligen Familien-Kämpfen geprägt ist, ist diese Fähigkeit von Erdenbewohner*innen sich in interspezifischen Gemeinschaften zu finden, unerlässlich. Den Begriff des "interspezifischen" habe ich von meiner aktuellen Lektüre entlehnt, von Baptiste Morizot, Die Arten des Lebendigseins (1, Danke Bettina für den Tipp!) Interspezifisch meint hier ein miteinander verschiedener Blutsfamilien menschlicher und mehr als menschlicher. Dass mir das gefällt, könnt ihr euch vermutlich vorstellen!
Überhaupt könnte ich jetzt Ansetzen zu einem begeisterten Erzählen, Teilen und Kommentieren der Bücher, die ich in letzter Zeit lesen konnte; ja überhaupt ein Loblied auf Bücher anstimmen. Keine Sorge, ich mache es jetzt nicht! Dennoch wollen sie erwähnt sein: Bücher sind mir Kin und auch wenn sie keine eigenen Beine haben, so kommen sie doch immer wieder auf wundersame Weise im richtigen Moment zu mir. Welch Grosszügigkeit des Lebens, die - so hoffe ich ganz unbescheiden - noch lange anhält.
Zurück zum Geburtstagsfest: wie viele von euch wissen, bin ich darin blutige Anfängerin, aber ich sage euch: gar keine schlechte Sache! Wie ein seltsamer Attraktor, so schien es mir, hat diese Entscheidung, ein 60igstes Lebensjubiläum zu feiern, Erinnerungen, Bilder, Stimmungen und Atmosphären hochgespült, die längst vergessen waren.
Ich hatte einige Male Lust, all diese Bilder in Kurzgeschichten zu giessen, in Novellen oder Essays, aber die vergangenen reisebewegten Monate liessen es nicht zu, meinen Popo stabil an einem Ort zu halten, was letztlich die wichtigste Voraussetzung fürs Schreiben ist:-)
So ein Geburtstagsfestruf hat Selbsterfahrungspotential und von den Fest- und Reisespesen, die da auf einen zukommen, ein verhältnismässig Günstiges. Auf die Frage, was inmitten all des Veränderlichen der letzten 60 Jahre bislang verlässliche Qualitäten sind, die sich an so einem Fest auch feiern lassen können, bin ich auf drei Dinge gestossen, die mich und das Leben auszeichnen. Die will ich hier kurz erwähnen.
1 Da ist eine von klein auf neugierige Unerschrockenheit gegenüber dem Unsichtbaren, damit auch oft gegenüber dem Unerklärlichen. Nur, weil etwas nicht sichtbar ist, heisst nicht, dass es nicht anwesend ist. Nur, weil etwas nicht spricht, heisst nicht, dass es stumm ist.
Es gehört massgeblich zu meinem Leben, immer wieder mit dem Unsichtbaren und Sprachlosen in Kontakt und Austausch zu kommen, zu übersetzen, überzusetzen, wieder und wieder, sodass Beziehungen wachsen und spürbar werden können. Diese Eigenart hat mir vieles verbaut und vieles ermöglicht und heute 2024 - angesichts unsere ökologischen und politischen Weltenlage - frage ich mich weiterhin dringlich, was und wie ich zur lebendigen Weltbeziehung beitragen kann. Wie ich mich in kosmopolitischer Höflichkeit (auch ein Begriff von Morizot) entwickeln kann! Danke helft ihr mir dabei!
2 Mit mir gibt es seit ich erinnern kann, eine Art Rebellin, die sich einmischt, sobald schlechte Macht-Verhältnisse von einem Raum Besitz ergreifen. Leider (oder glücklicherweise?) ist sie nicht sooo besonders klug und auch nicht so mächtig, dass sie viele hätte ändern können. Ja, vielleicht hat sie mitunter sogar auch zu schlechten Macht-Verhältnissen beigetragen. Das ist nicht auszuschliessen. Aber bestimmt ist es ein verlässliche Kraft, ein Löwin mit Mähne, die brüllt, und die weiter zieht und nach Wegen sucht, bessere Verhältnisse zu schaffen.
3 Die dritte und sich für mich in alles hinein sich verwebende Lebensbegleiterin ist eine entschiedene, zärtliche Fürsorge, ja Liebe für die Welt, in der wir leben. Sie ist das wesentliche Lebenselixier, das will ich trinken und teilen, solange es mir beschert ist. Für sie, mit ihr, durch sie lohnt es zu leben! Danke!
Anlässlich des Geburtstagsfestes, 3. August 2024, Rosenhof, Stein AR
Astrid Habiba Kreszmeier, geb. 19.07.1964
(1) Baptiste Morizot (2024), Arten des Lebendigseins, Matthes&Seitz, Berlin
Und danke für die Videozuspiele!