Schluss mit Venus 1 Verdammt schön

Dort, im Bildschirm sitzt Julie. Natürlich sitzt sie nicht im Bildschirm, sondern in einem Zimmer in einer Schweizer Stadt. Sie lächelt freundlich, sie will freundlich lächeln, aber es ist ihr zum Weinen. Es ist nichts. Nichts besonderes. Einfach der ganz normale Druck, der ganz normale Lebensstil, die ganz normalen Ansprüche, das ganz normale Tempo dieser Zeit. “Ich bin müde, wahrscheinlich einfach nur müde. Sonst alles gut,” sagt sie, wischt sich sanft die langsam rollenden Tränen von den Wangen. Die Knie an die Tischkante geklemmt, sieht es so aus, als könnte sie ein wenig schaukeln. Sich selbst ein wenig schaukeln. Das beruhigt.
Wären wir im selben Raum könnten vielleicht ein warmer Blick, gemeinsame Atemzüge oder eine sanfte Berührung Entspannung bringen. Aber in dieser intimen Unnähe, die sich über ein Videotelefonat einstellt, muss ein nichtssagendes, aber freundlich mitfühlendes “mhm” die Brücke schlagen. Und einfach ein wenig Zeit.
Das Studium ist in Ordnung. Einfach zuviel Zoom. Zuviele Katastrophen in der Welt und so viel Anspruch in der Kunst. Julie arbeitet als Werbe- und Modefotografin und macht einen Master of Contemporary Arts. Eigentlich wollte sie aus dem raus. Raus aus der Welt der Perfektion, der Schönheit, des Marktes, der Produkte. Aber es gibt kein raus. Alles ist in dem drinnen. Letztlich auch die Kunst. “Und ich bin ja auch drin. Meine Augen sind drinnen. Mein Denken ist mitten drin. Alles ist drin.”

“Und doch weiss ich, dass es anders geht. Von diesem Drinnen gibt es ein Draussen. Das haben mir die Felsen an der marokkanischen Küste gezeigt. Gedankenverloren angelten sich meine Augen an den Rinnen und Furchen des Gesteins entlang, so als gäbe es Spuren und in den Spuren Geschichten zu entdecken. Mitgesprochen haben bestimmt der Wind, das Rauschen des Atlantik und das von den Wellen fortwährend an- und abschwellende Grollen, Reiben und Schieben der Kiesel des Strandes. Das Schauen war kein So-Soll-Es-Ausschauen, sondern ein liebevoll, erkundenden Hinschauen und in dem ein Zusammen-Da-Sein. In diesem Einander-Anschauenden-Miteinander war alles schön, verdammt schön. So in etwa ist es, wenn man draussen ist”, schmunzelte das Wesen im Bildschirm und atmete tief durch.

Ein Anfang war getan.

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Finstere Zeiten? 1 Conspirare